Lactobacillus – Alleskönner für die Gesundheit
Unsere Gastautorin Susanne Thiele, geboren 1970, ist Mikrobiologin, Wissenschaftsjournalistin und Autorin mehrerer Sachbücher. Wenn sie keine Bücher schreibt, leitet sie die PR-Abteilung am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, schreibt für Zeitungen oder Journale oder auf ihrem Blog Mikrobenzirkus. Ihr neues Sachbuch über Mikroben in unserem Alltag erscheint im Frühjahr 2019 im Heyne-Verlag. Siehe auch www.susanne-thiele.de
“Milchstäbchen” sind Teil unserer Kulturgeschichte
Die Laktobazillen – übersetzt „Milch-Stäbchen“ oder auch bekannt als Milchsäurebakterien – sind schon seit Tausenden von Jahren Teil unserer Kulturgeschichte: Lactobacillus begleitet uns als Partner auf Lebenszeit von Geburt an – erst mit der Muttermilch und später mit den Produkten, die aus der Milch von Rind, Ziege, Schaf gewonnen werden.
Dass wir die Milch überhaupt vertragen – im Gegensatz zu den meisten erwachsenen Asiaten – war übrigens nicht immer so. Erst etwa vor 7000 Jahren wurden unsere Vorfahren als Viehzüchter in Nordeuropa sesshaft und setzten mehr Milchprodukte auf den Speiseplan. Dies bewirkte, dass sich das Enzym Lactose, welches eigentlich nur bei Säuglingen für den Abbau von Milchzucker vorhanden ist – sich auch bei erwachsenen Mitteleuropäern durchsetzte.
Wichtige Hilfe beim Start ins Leben
Die stäbchenförmigen Laktobazillen werden während der Geburt bei der Passage durch den mütterlichen Geburtskanal auf das Baby übertragen – genauso wie über das Stillen. Ein gestilltes Baby erhält durchschnittlich zwischen 1 und 10 Millionen wichtiger Bakterien täglich von der Muttermilch. Das ist sehr vorteilhaft. Speziell die Laktobazillen schützen das Neugeborene vor Krankheitserregern und ermöglichen es ihm, die Muttermilch zu verdauen. Lactobacillus gehört sozusagen zu unseren ersten Freunden.
Wird ein Baby per Kaiserschnitt entbunden – fehlt dieser Schutz. Die Folge: schädliche Bakterien siedeln sich leichter im unreifen Säuglings-Darm an. Einige Studien geben Hinweise darauf, dass Laktobazillen die Wahrscheinlichkeit von Allergien und Autoimmunkrankheiten wie Diabetes und Morbus Crohn verringern. In den USA und in Kanada ist es deshalb Praxis, dass Kaiserschnitt-Babys direkt nach der Geburt mit Bakterien der Mutter eingerieben werden. Aussagekräftige Studien zum sogenannten »Vaginal Seeding« fehlen aber noch.
Laktobazillen machen Lebensmittel lecker & haltbar
Wahrscheinlich per Zufall entdeckten unsere Vorfahren, dass sauer gewordene Milch sehr lecker sein kann: in Form von Joghurt, Kefir oder Käse. Dafür ist ebenfalls vor allem Lactobacillus verantwortlich – ebenso wie für Säuerungsvorgänge zur Herstellung von Sauerteigbrot, Sauerkraut oder anderen eingelegten Gemüsesorten – auch Fermentation genannt.
Lactobacillus bildet dabei aus den vorhandenen Zuckern, den Kohlenhydraten, Milchsäure. Dadurch sinkt der pH-Wert so stark, dass sich schädliche Bakterien nicht vermehren können: die Lebensmittel werden haltbar. Etwa 5000 solcher Lactobacillus-fermentierter Lebensmittel sind weltweit bekannt. Fermentation liegt gerade wieder total im Trend!
Milchsauer vergorene Lebensmittel sind bekannterweise sehr gesund. Sie enthalten Mikroben, die sich gut mit dem eigenen Mikrobiom des Darms ergänzen. Die Bakterien in den Fermenten fördern eine gesunde Darmflora und damit den Immunschutz gegen krankmachende Keimen. Eine Vielzahl von leckeren und gesunden Rezepten zur Fermentation von Gemüse findest du in Blogs wie www.mikrobenzirkus.com oder www.wildefermente.de.
Gesund für den Darm & positiv für unser Wohlbefinden
Laktobazillen haben einen »süßen Zahn« – sie lieben Zucker! Dadurch wurden sie ein so enger und langfristiger Begleiter des Menschen und wir finden sie sowohl in Lebensmitteln oder im Darm. Sie übernehmen viele Aufgaben für unsere Gesundheit. Dank bestimmter Enzyme machen sie für uns unverdauliche Kohlenhydrate verfügbar – vor allem die Ballaststoffe aus Vollkorn und Gemüse, die im Dünndarm die wichtigen Darmbakterien stimulieren.
Unter der Bezeichnung „Präbiotika“ werden solche Ballaststoffe heute manchen Lebensmitteln zugesetzt, beispielsweise in Form der langkettigen Zucker Inulin oder Oligofructose. Als „Probiotika“ werden hingegen Nahrungs- oder Heilmittel bezeichnet, die gezielt bestimmte Bakterienstämme enthalten (wobei hier der Effekt nur so lange anhält, wie man die Probiotika zuführt).
Laktobazillen sind außerdem wichtig für die Funktion der Darmschleimhaut, die Nährstoffe vom Darm ins Blut transportiert und auch unser Immunsystem unterstützt. Ist es gestört, werden Infekte und Autoimmunkrankheiten wahrscheinlicher. Studien legen nahe, dass Laktobazillen sogar unser Wohlbefinden beeinflussen: Bestimmte Lactobacillus-Stämme verringern in Mäusen ängstliches und depressives Verhalten – möglicherweise weil sie Botenstoffe produzieren, die bei der Nervenübertragung im Gehirn eine Rolle spielen. Lactobazillen sind also wichtige Helfer für Leib und Seele.
Nachhaltig: Milchsäure für biologisch abbaubare Folien und Plastik
Auch biotechnologisch werden die Laktobazillen gern eingesetzt, um Milchsäure in der Industrie herzustellen – weltweit etwa 500.000 Tonnen pro Jahr. Als Lebensmittelzusatzstoff (E 270) erhöht Milchsäure zum Beispiel die Haltbarkeit von Back- und Süßwaren sowie von Limonaden. Auch Seifen, Cremes und Spülmittel enthalten die desinfizierend wirkende Milchsäure. Werden mehrere Milchsäure-Moleküle miteinander verknüpft, so entstehen Milchsäure-Ketten, die Polylactide. Daraus gewonnene Materialien sind sehr stabil, aber biologisch abbaubar. Daraus lassen sich sehr gut Bio-Folien und Verpackungen herstellen. Medizintechniker verwenden diese speziellen Polylactide gern für resorbierbare Nahtmaterialien und Implantate, die sich nach einiger Zeit in unserem Körper einfach zersetzen.
Es ist gar nicht nötig, teure „probiotische“ Joghurts zu kaufen, die oft viel Zucker enthalten. Ganz natürlich kommen diese Probiotika in milchsauren Produkten vor – wie Buttermilch, Kefir aber auch in Joghurt. Sie siedeln sich im Darm an und stärken von dort aus unsere Immunabwehr.
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