Homosexualität – jetzt noch outen?
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Bevor ein homo- oder bisexueller Mensch seine Veranlagung öffentlich machen kann, muss sie oder er zunächst einmal innerlich akzeptiert haben, dass die eigene Neigung vom hetero-normativen Weltbild abweicht. Das bedeutet zunächst einmal das innere Eingeständnis: „Ich bin homo-/bisexuell.“ Im nächsten Schritt steht dann eine Auseinandersetzung mit dieser Erkenntnis an. Viele Homosexuelle leiden darunter, dass sie zu einer Minderheit gehören und dem typischen Geschlechterbild nicht entsprechen. Viele kämpfen auch mit der Vorstellung des „Unnatürlichen“ oder „Abartigen“, obwohl man heute längst weiß, dass Homosexualität zumindest zu einem großen Teil angeboren ist und einfach eine natürliche Varianz darstellt, die es übrigens auch vielfach im Tierreich gibt. Trotzdem gibt es auch innerlich zunächst viele Vorurteile zu überwinden. Das gilt umso mehr, je später die Erkenntnis über die eigene Homo- oder Bisexualität entsteht. Lass dir also ruhig Zeit, falls dieser innerliche Prozess noch nicht abgeschlossen ist. Je klarer du selbst bist, umso einfacher wird auch das Outing.
Der Prozess des inneren und äußeren Coming-Outs ist bei Menschen jeden Alters sehr ähnlich. Trotzdem gibt es Unterschiede: Ältere Menschen haben über viele Jahre hinweg ein künstliches Bild aufrechterhalten, das sie jetzt mit dem Outing einreißen müssen. Das kann schwerer sein als das Outing eines Jugendlichen, der sich gerade erst selbst findet. Besonders schwierig wird es, wenn du vielleicht verheiratet bist und/oder Kinder hast, die nichts von deiner Neigung wissen. Umgekehrt hast du als Erwachsene auch einige Vorteile: Du bist finanziell unabhängig und stehst fest im Leben. Du musst dich nicht mehr mit hormonbedingten Pubertätsproblemen herumschlagen und auch dein Umfeld ist erwachsener. Das können sehr große Vorteile sein.
Das Hauptargument für ein Outing ist wirklich gewichtig: Es ermöglicht dir, mit dem Versteckspiel Schluss zu machen, das du vielleicht schon sehr lange lebst. Es erlaubt dir, dich so zu präsentieren, wie du wirklich bist, und in Gänze zu dir zu stehen. Das kann sehr empowernd wirken und dir zu einem glücklicheren, gesünderen, freieren Leben verhelfen. Viele Homosexuelle berichten, dass das Coming-Out eine Befreiung war, die ihnen zu ganz neuem Lebensglück verholfen hat. Wie gut es dir mit einem Outing geht, hängt allerdings auch davon ab, wie dein Umfeld reagiert. Und da sind wir schon beim Argument gegen ein Outing: Es wird sicher nicht ganz einfach werden. Manche Menschen werden mit der neuen Situation vielleicht nicht gut klarkommen und den Kontakt einschränken. Bei anderen wird es vielleicht deutlich leichter werden, als du es dir vorstellst. Solange du es nicht ausprobierst, kannst du nicht wissen, wie dein Umfeld reagiert. Aber natürlich kann es an manchen Stellen ganz schön schwierig werden. Was für dich wichtiger ist und wann der Moment zum Outen gekommen ist, kannst du nur selbst entscheiden.
Wer eine homo- oder bisexuelle Neigung an sich entdeckt, glaubt häufig, ganz alleine mit den Problemen dazustehen. Dieses Empfinden kommt daher, dass scheinbar das komplette Umfeld anders tickt als man selbst. Aber natürlich bist du alles andere als alleine! Unzählige Menschen standen und stehen vor ähnlichen Schwierigkeiten wie du. Einige von ihnen haben sich zusammengeschlossen, um anderen zu helfen: In den meisten größeren Städten im deutschsprachigen Raum gibt es Hilfsorganisationen und Selbsthilfegruppen, in denen es speziell um die Probleme nicht-geouteter Homosexueller geht. Im ländlichen Bereich kannst du dich im Netz und per Telefon an überregionale Organisationen wenden. Hole dir ruhig Hilfe und profitiere von den Erfahrungen anderer!
Wenn du beschlossen hast, dich zu outen, wirst du vermutlich nicht gleich deine ganze Familie und den kompletten Freundeskreis zusammenrufen, sondern dich zunächst einmal einer Person öffnen. Idealerweise hast du dann gleich einen Unterstützer oder eine Unterstützerin für deinen weiteren Weg. Deshalb solltest du die erste Person, die du ins Vertrauen ziehst, gut auswählen. Er oder sie sollte dein Vertrauen genießen und ohne Wenn und Aber hinter dir stehen. Außerdem sollte die Person ihr Wissen natürlich zunächst für sich behalten können.
Ein Vorwurf, mit dem du dich vielleicht auseinandersetzen musst (und der dich wahrscheinlich auch innerlich umtreibt), ist: „Du hast uns viele Jahre lang etwas vorgemacht!“ Dem kannst du ein Stück weit entgegenwirken, indem du erklärst, dass du schon lange darüber nachdenkst, dir aber selbst nicht sicher warst, was mit dir los ist und was das für dich bedeutet. Mach klar, dass das Outing für dich ein großer Schritt ist, über den du dir erst innerlich klar werden musstest.
Für dich war und ist es ein langer Prozess, deine Homo- oder Bisexualität zu erkennen und zu akzeptieren. Das kann für manche andere Menschen ähnlich sein. Habe Geduld mit Freunden und Angehörigen, die vielleicht nicht sofort mit deinem Outing und den daraus resultierenden Änderungen umgehen können. Suche immer wieder das Gespräch und äußere Verständnis für die Schwierigkeiten. Grenzen aufzeigen solltest du aber immer da, wo du diskriminiert, ausgegrenzt oder beschimpft wirst. Dazu hat niemand das Recht!
Man schätzt, dass alleine in Deutschland etwa 800.000 Homosexuelle über 60 Jahren leben. Viele von ihnen haben sich nie geoutet.
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